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X-Men: Apocalypse – Review

 

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Die zweite Trilogie um die marvel’sche Mutantentruppe geht in die dritte und vorerst letzte Runde.

Nach dem erfolgreichen Auftakt „Erste Entscheidung“ und dem noch besseren „Zukunft ist Vergangenheit“ legt Erfolgsregisseur Bryan Singer jetzt mit dem vorübergehenden Finale „Apocalypse“ ein vom internationalen Publikum zwiespältig aufgenommenes Sequel nach. Aufmerksamen Sitzenbleibern und Fans der Comic-Reihe dürfte nach dem Abspann von „Zukunft ist Vergangenheit“ vor zwei Jahren der nächste Antagonist und somit die Grundidee des Films sowieso schon klar geworden sein.

Die Geschichte beginnt 5000 Jahre in der Vergangenheit: Vor einer gewaltigen Pyramide inmitten einer ägyptischen Wüstenlandschaft bereiten abertausende Menschen eine düstere Zeremonie vor, in der die Seele ihres Herrschers En Sabah Nur (auch Apocalypse genannt) in einen neuen Körper übertragen werden soll, da er dem Alter zum Opfer zu fallen droht. Apocalypse wird als Gott verehrt und gilt als der erste aller Mutanten. Allerdings unterstützen nicht alle die Herrschaft des Tyrannen und es gelingt einigen Widerständlern, die Pyramide zum Einsturz zu bringen und En Sabah Nur unter den Felsmassen zu begraben.

Zeitsprung ins Jahr 1983: Eine Sekte befreit durch Ausgrabungen den schlafenden Apocalypse. Er tötet einige Menschen, schart seine Anhänger, die vier Reiter der Apokalypse, wieder um sich und befördert sämtliche Atomraketen in den Weltraum. Sein Ziel: Die desillusionierten und von den Menschen unterdrückten Mutanten wieder zu neuer Herrschaft über die Erde zu bringen und die Menschen zu unterjochen. Die X-Men um Professor Charles Xavier beginnen ihrerseits sich gegen den scheinbar übermächtigen Gegner zu rüsten. Zu allem Überfluss befindet sich allerdings auch jemand, der früher auf ihrer Seite kämpfte, unter den neurekrutierten Reitern des Urmutanten.

Mit einer genialen Eröffnungssequenz, in der mit rasender Geschwindigkeit die Weltgeschichte durch eine Art Zeittunnel abgeklappert wird, platzt der Film wuchtig auf die Leinwände los. Doch was ist es nun, das die Kritiken um das Actionspektakel so gemischt ausfallen lässt? Es liegt wohl am technischen Fortschritt und dem Wettbewerbseffekt, dass viele Regisseure heutzutage davon überzeugt sind, sie müssten sich und andere ständig überbieten. Oberflächlich gesehen, wirkt „Apocalypse“ also wie eine logische größer-lauter-besser Steigerung zum Vorgänger „Zukunft ist Vergangenheit“, beim dem „nur“ das Schicksal der Mutanten auf dem Spiel stand. Denn diesmal geht es um nichts geringeres, als die Rettung der Welt. Der Film erschlägt mit seiner brachialen Action und den gewaltigen Bildern förmlich. Diese werden bis zum Exzess ausgenutzt: Alleine die wuchtige Endschlacht zwischen Apocalypse, seinen Reitern und den X-Men lässt alles bisher Bekannte aus den Vorgängerfilmen alt aussehen. Der übermäßige Bombast wird vielen eher schlecht bekommen. Auf der anderen Seite scheint das CGI-Feuerwerk nötig, angesichts der sich abzeichnenden Situation. Wenn man einen Schurken schon „Apocalypse“ tauft, dann muss er diesem Namen auch mit ordentlich Wumms und Getöse gerecht werden.

Aber wer oder was ist dieser Apocalypse? Ein blaugesichtiger Hüne, der als der allererste Mutant überhaupt bezeichnet wird und sich über die Jahrtausende durch Transformation seiner Seele und Kräfte in neue Körper am Leben erhält. Auffällig ist, dass er nicht nur über ein gewaltiges Machtpotenzial und unzählige verschiedene Kräfte verfügt, sondern zusätzlich dazu in der Lage ist, während der Transformationen die Kräfte des neuen Körpers in sich aufzunehmen. Ein weiterer Faktor, der für ihn als Mutantengott spricht ist die Tatsache, dass er die Kräfte anderer Mutanten verstärken kann – in dieser Hinsicht ist er wie ein düsterer Heilsbringer, der andere auf seine Seite zieht. Das Versprechen grenzenloser Macht ist zu verlockend, um ihm wiederstehen zu können. Apocalypse, oder En Sabah Nur, wirkt wie der ultimative Superschurke, ein dunkler Dirigent, der stets alles erreichen kann, was er will. Nur eines fehlt ihm eben. Eine einzige bestimmte Eigenschaft, die wichtigste, eines der X-Men fehlt dem Tyrannen, ohne die seine Pläne nicht verwirklicht werden können. Egal, wie viele Schergen er um sich schart: Apocalypse selbst ist nicht unbezwingbar, nicht vollkommen. Aber er hat genügend Macht, um die Leinwand für zweieinhalb Stunden mächtig durchzurütteln

Trotzdem fährt Regisseur Singer in den nötigen Momenten das Tempo wenigstens für kurze Zeit herunter. So wirken die seltenen ruhigen Passagen umso stärker und geben den betroffenen Figuren einen unerwarteten und den Film unglaublich aufwertenden Tiefgang. Bestes Beispiel hierfür ist das Schicksal der interessantesten aller X-Men-Charaktere: Magneto. Sein extrem emotional und packend dargestellter Versuch ein normales Leben zu führen, wirkt zu jeder Sekunde ehrlich und nachvollziehbar. Er muss erkennen, das ein solches Leben für ihn nicht möglich ist und er stets Andere mit in sein Unglück reißt. Verzweiflung und Wut gewinnen Oberhand in ihm, er verliert nach und nach die Kontrolle über sich selbst, wird ausgenutzt, während einer Szene im Konzentrationslager von Ausschwitz mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert und von einem Moment auf den anderen von einem nach Normalität suchenden Mutanten zu einer gebrochenen Psyche, die ihren Nutzen nur noch als ultimative Waffe bringen soll. Alleine um Magnetos Leidensweg mitzuverfolgen, lohnt sich der Kinobesuch.

Magneto2(Bild: Magneto)

Allgemein ist die größte Stärke von „Apocalypse“ wieder einmal die zahlreichen, perfekt besetzten Nebenrollen. Wieder gelingt es Bryan Singer, eine wahre Flut von Mutanten auf den Zuschauer zu hetzen, ohne dass dieser den Überblick oder den nötigen Zugang zu den Figuren verliert. Im Gegenteil: sie alle sind so liebevoll und detailreich charakterisiert, dass jeder für sich seinen eigene Film verdient hätte. Jeden Einzelnen hier zu nennen würde den Rahmen sprengen, doch einige müssen hier erwähnt werden: Szenendieb und heimlicher Publikumsliebling dürfte wieder Überschallgeschwindigkeitsmutant Quicksilver sein, dessen Humor und Zeitlupenauftritt vom Vorgängerfilm sogar überboten wird. Der schüchterne und etwas tollpatschige Teleporter Nightcrawler entwickelt sich langsam aber sicher zum größten Sympathieträger der Gruppe, die emotional ebenfalls stark angeschlagene Jean Grey bekommt den ehrlichsten und tiefgründigsten Leinwandauftritt ihres Charakters überhaupt und selbst der sehr kurz ausgefallene Gastauftritt von Übermutant Wolverine strotzt vor Intensität und Emotionen.

Letztgenannte Szene steht eigentlich stellvertretend für den kompletten Film: Der ein oder andere Ruhepol in wechselnder Gestalt schafft es, die Geschichte für kurze Zeit zu zähmen, bevor sie wieder in Gewalt, Zerstörung und Macht überschlägt.

Eigentlich besitzt „X-Men: Apocalypse“ alles, was einen perfekten Blockbuster ausmacht. Der Film funktioniert sowohl als oberflächliche Effekt- und Zerstörungsorgie, als auch als Charakterstudie mit Köpfchen, die so interessante Einblicke in die Figuren der X-Men und ihre Entwicklungen gibt, wie selten zuvor. So oder so: die zweieinhalb Stunden investierte Lebenszeit dürften sich für Freunde des Genres zu jeder Sekunde rentieren.

WARNUNG: Es folgt die bescheidene Meinung eines zweiten Autors. Der folgende Teil der Rezension beinhaltet eine Vielzahl an Spoilern, Unsachlichkeiten und Neologismen. Außerdem ist er kinematographisch und kulturell vollkommen unbedarft und schlecht strukturiert

So Freunde. Vergesst alles, was Ihr bisher gelesen habt. Die ganzen zweieinhalb (!) Stunden von X-Men: Apocalypse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Erstens: Warum sind so verdammt viele Mutanten Blau? Mystique, Apocalypse, Nightcrawler, der große Haarige. Alle Blau. Hat ein Mutant einen besonders gar bestialisch mutierten, betont unmenschlichen Phänotyp, so ist er in den X-Men Filmen immer Blau. Verstehe ich nicht, gefällt mir auch nicht. Ein kräftiges Gelboliv oder ein gewagtes Lachsorange wären meiner Meinung nach wesentlich menschenfremder als popeliges Blau.

Zweitens: APOCALYPSE (unkoordiniertes mit-den-Armen-Fuchteln), der schauderschrecklich schlimme Megamutant kann mit einem einzigen Wink seiner Hand drei Männer gleichzeitig Köpfen, ja eine ganze Fabrikhalle auslöschen. Wenn er aber gegen einen X-Man kämpft, namentlich Quicksilver, entscheidet er sich zu einer Nebenkarriere als Boxer und belässt es dabei, dem anderen ein Bein zu brechen. Danach lässt er sich von Sansa Stark vermöbeln wie ein kleiner verzogener Bengel aus Hohenehr. Peinlich, sowas.

Drittens: Quicksilver macht genau das selbe wie im Film zuvor, nur mit einem besseren Song im Hintergrund. Innovativ.

Viertens: Die Reiter. Ehrlich,

das war peinlich. Die Damen bitte einfach möglichst wenig (das Wenig besteht natürlich aus Lila Leder) anziehen und sonst nichts machen, Archangel genau so faul sein und Magneto bitte mal ganze Städte zerlegen.

Angel4(Bild: Angel)

Apropos Magneto, Füntens: Magneeeto. Der Charakter des wohl coolsten Mutanten der gesamten Serie wird in diesem Film mit so viel Tragik und Tiefe vollgestopft, dass er entweder droht, darin zu ertrinken oder zu platzen. Je nach Orientierung an Objekt oder Prädikat zu wählen. Darüber hinaus zerstört Magneto wie oben bereits angeführt im Handumdrehen mehrere Städte. Dass dabei vermutlich auch das ein- oder andere Menschenleben ausgelöscht wurde, wird im Happy End von den guten Jungs einfach übersehen. Man hat sich ja lieb.

Sechstens: Wie, Magneto kann von Ägypten aus Sydney in Schutt und Asche legen? Warum macht er das in den nächsten Filmen nicht einfach auch? Weil APOCALYPSE nicht mehr ist? Storm hat ihre Kräfte wie es scheint aber auch behalten. Mysteriös.

Siebtens: Dieser Film war nicht ab Zwölf. Menschen wurden enthauptet, Kehlen gut sichtbar geöffnet, andere verbrannt oder zu Würfeln gefaltet und gegen Wände geworfen. Dieses Maß an Brutalität ist schlicht unangemessen für eine Altersfreigabe ab Zwölf Jahren. Aber man würde ja sonst weniger Geld mit dem Film machen.

Abschließend lässt sich sagen, die einzig gute Szene des Films ist, wie Charles Xavier alle Haare ausfallen und ja, ich gebe es zu, Quicksilvers zweiter erster Auftritt. Ende des Verrisses.

Storm(Bild: Storm)

Text: Simon Bauer; Christoph Schlenker

Illustration: Fidelia Schlegl