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Hateful 8-Ein Review

Filme von Quentin Tarantino sind meistens besonders schwere Kost. Meisterwerke wie „Pulp Fiction“ mit seinen zahlreichen Handlungssträngen die am Ende zu einem zusammengeführt werden, oder jüngst „Django Unchained“ mit seiner erschreckend realen und grausamen Sklavereithematik zählen nicht gerade zu den leicht verdaulichsten und oberflächlich unterhaltsamsten Filmen Hollywoods, im Gegenteil. Ein simples Krawumm-Spektakel à la Michael Bay oder Roland Emmerich wird man von Regie-Meister Tarantino nie vorgelegt bekommen, er verlangt den Zuschauern stets einiges ab. Bei seinem achten Streifen legt Tarantino jetzt nochmal einen drauf und seinen vielleicht bisher besten, wenn auch am schwersten zugänglichen Film ab. Natürlich gespickt mit unzähligen genialen Dialogen und literweise Blut – wie es nun einmal typisch für den Stil eines der seltsamsten Künstler der Filmgeschichte ist. Doch all die Mühen haben sich gelohnt: „The Hateful 8“ ist ebenso bildgewaltig wie brutal geworden, brilliert durch überragende Schauspielleistungen und trifft den Zuschauer mit der Wucht eines ungebremsten Güterzugs.

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Um was geht es?
„The Hateful 8“ spielt im amerikanischen Staat Wyoming des 19. Jahrhunderts nach dem Bürgerkrieg und ist in insgesamt sechs Kapitel unterteilt. In der Eingangssequenz hält die Kamera minutenlang auf ein verschneites Kreuz mitten im Nirgendwo, düster und bedrohlich untermalt von Altmeister Ennio Moricones genialer Komposition, während sich im Hintergrund eine Kutsche durch den Schnee kämpft bis sie den anfixierten Punkt passiert. An Bord befinden sich der bekannte Kopfgeldjäger John „Der Henker“ Ruth (Kurt Russel) mit seiner mit Handschellen an ihn gefesselten Gefangenen Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh), die zum Tode verurteilt von ihm in der nächstgelegenen Stadt Red Rock an den Galgen gebracht werden soll, sowie der Kutscher O.B. Jackson (James Parks). Ruth gilt als berüchtigt, weil er seine Opfer stets lebendig und niemals tot abliefert und sich nicht mit dem Kopfgeld alleine zufrieden gibt – er will die Straftäter vor den Augen aller sterben sehen. Mitten in der Eiswüste treffen sie auf Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson), ebenfalls Kopfgeldjäger, dessen Pferd im Sturm verendet ist und nehmen ihn nach einigem des misstrauischen Ruth auf. Einige Meilen weiter treffen sie auf eine weitere verirrte Person, der undurchsichtige Chris Mannix (Walton Goggins), der behauptet er wäre der neue Sheriff ihres Zielorts Red Rock. Durch den heraufziehenden, schweren Schneesturm sehen sich die Reisenden gezwungen, an einer Herberge genannt „Minnie’s Miederwarenladen“ zu halten um den Sturm zu überstehen. Dort treffen sie vier weitere Schutzsuchende an, den charismatischen neuen Henker von Red Rock, Oswaldo Mobray (Tim Roth), den Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), der eigentlich nur seine Mutter besuchen will, Bob den Mexikaner (Demián Bichir), der den Laden betreibt da die Hausherrin verreist zu sein scheint und der alte General Sandy Smithers (Bruce Dern). Nach und nach steigt das Misstrauen unter den Anwesenden, bis Verbindungen zwischen den hasserfüllten Acht ans Licht kommten, keiner mehr dem anderen traut und die Situation in einem Gewaltausbruch zu eskalieren droht.

Was den Film zum Kunstwerk macht…
Was dann auch tatsächlich so geschieht. Doch davor nimmt sich Tarantino über eine Stunde Zeit, die Charaktere und ihre Hintergünde ausführlichst vorzustellen und baut eine unglaublich Spannung allein durch die Intensität der grandiosen Dialoge auf. Was sich zuerst in der Kutsche während der Fahrt zwischen Ruth, Warren, Domergue und Mannix abspielt, wird auf die Hütte von „Minnie’s Miederwarenladen“ übertragen und auf acht Personen ausgeweitet. In einer der eindrucksvollsten Szenen hält Protagonist Marquis Warris dem in die Jahre gekommenen General Smithers einen langen und intensiven Monolog darüber, wie er dessen Sohn getötet hatte als dieser Jagd auf ihn machte. Mit der steigenden Intensität von Warrens Körpersprache und Erzählweise steigert sich die Spielweise des im Hintergund am Klavier sitzenden Mexikaners Bob. Am Höhepunkt der Szene fällt schließlich ein Schuss, der erste überhaupt und die hasserfüllten Acht sind auf sieben reduziert worden. Der Tote sinkt zu Boden, während Bob die Klappe des Klaviers über die Tasten senkt. Ein perfekt inszenierter Spannungsbogen wird abgeschlossen.
Nach einer zehnminütigen Pause beginnt die zweite Hälfte und jetzt dreht sich der Charakter des Films komplett um hundertachtzig Grad und bricht als groteskes und extrem überspitztes Blutbad hervor. Genug der schönen Worte, es war klar dass irgendwann die Waffen sprechen würden. Aber dass dies derart sadistisch und grausam geschehen würde, war nicht vorabsehbar. Köpfe explodieren, Gliedmaßen werden abgetrennt, Bäche von Blut färben die Hütte rot. Trotzdem verwundert der urplötzliche Umschwung nicht, auch wenn er deutlich heftiger ausfällt als erwartet. Konzentrierte Zuschauer erkennen den ersten Teil des Filmes als den vergeblichen Versuch der Charaktere, die angespannte Situation ohne Gewalt und mit Worten zu lösen. Doch genau dazu ist keiner der acht in der Lage und so kommt es wie es kommen muss. Diese Wendung nach etwa eineinhalb Stunden ist für den konzentrierten Zuschauer aber schon das einzige möglicherweise Vorhersehbare des Films, zu undurchsichtig und wandelbar bleiben die Figuren und weiteren Handlungsgründe.

Unmittelbar nach Ankunft der Kutsche, streift Kopfgeldjäger Ruth durch den Raum, spricht mit jeder der vier Personen und begründet dies mit der Aussage, er kann nicht mehrere Tage mit Männern unter einem Dach verbringen, die er nicht kennt. Dieser Satz wird richtungsweisend für den kompletten Film werden – denn immer mehr kommt heraus dass keiner in der Lage ist, die anderen wirklich kennenzulernen und einzuschätzen. So ergeben sich auch für den Zuschauer ständig neue Wendungen, jede der Personen wird ständig falsch eingeschätzt und im nächsten Moment seine gesichert geglaubte Position in diesem Kammerspiel wieder zunichte gemacht.
John Ruth, der dominante Kopfgeldjäger der die Situation und seine Gefangene ständig unter kontrolle zu haben scheint, stirbt realtiv früh durch einen simplen Trick, der hier aus Spoilergründen nicht verraten werden soll. Seit der ersten Szene, als Ruth Major Warren bis auf die Nieren prüft bevor er ihn in die Kutsche aufnimmt, wird die Figur Russel’s als eine der stärksten Persönlickeiten mit einem Hang zur ständigen Kontrolle präsentiert. Später in der Hütte sammelt er sogar die Waffen aller Anwesenden ein, um kein Risiko für sein Leben und das seiner Gefangenen einzugehen. Trotzdem stirbt er auf eine banale Weise, seine starkes Auftreten schwindet innerhalb von Sekunden und zeigt dass er schlussendlich doch jede Kontrolle verloren hat.
Auch Major Warren durchläuft die gleiche Entwicklung. Durch seine Ansprachen und Taten scheint auch er die Situation eindeutig zu kontrollieren, er schafft es sogar den anfänglich skeptischen Sheriff Mannix auf seine Seite zu bringen und will die verbliebene Gruppe einen nach dem anderen dezimieren um den Mörder Ruth’s zu enttarnen. So systematisch wie er dabei vorgeht kann eigentlich nichts schiefgehen…meint man. Denn tatsächlich wird Warren ebenso plötzlich wie unverständlich durch einen Schuss außer Gefecht gesetzt. Ein aus dem Nichts kommender Plot-Twist, der alles was man sich im Kopf zusammengereimt hat nochmal komplett durcheinanderwirft. Durch seine Verletzung ans Bett gebunden, muss Warren von jetzt an den Verlauf der Situation mitverfolgen, ohne auch nur den geringsten weiteren Einfluss darauf zu haben.
Cowboy Joe Gage dient von Anfang an dazu, als Verdächtiger für den Mord an Ruth gesehen zu werden, so auffällig unauffällig wie er handelt und spricht. Tatsächlich soll er genau das tun, um den Fokus auf sich zu ziehen und um die Zuschauer die anderen Charaktere vergessen zu lassen. Und dann kommt am Ende alles ganz anders.
Die größten Entwicklungen machen die wahnsinnig wirkende Daisy Domergue und Chris Mannix durch. Während Mannix als einziger zu Beginn schwach auftritt und im dem Verlauf des Films immer stärker wird, ist er derjenige, der am Schluss alles entscheiden muss und diese Entscheidung auch gnadenlos trifft, (genaueres soll nicht verraten werden) ohne sich von den Verbliebenen beeinflussen zu lassen. Er ist der einzige, der zusammenfassend als stark bezeichnet werden kann, auch wenn er keine Kontrolle behält.
Daisy Domergue hingegen wirkt anfangs als wäre sie die Einzige, der dies gelingen würde, nicht nur aufgrund ihres Geheimnisses, das auch als Kapitelüberschrift verwendet wird. Ihr wird am Schluss, am eigentlichen Höhepunkt ihres Auftretens, völlig unerwarteterweise von Mannix jede aufgebaute Macht entzogen und sie muss sich in die Reihen der Schwachen unter den Acht eingliedern.
Oben genannter Plot-Twist wird nach etwa zwei Drittel des Films durch eine Rückblende eingeleitet. Hier wird klar wer die eigentliche Kontrolle über das Szenario und seine Hauptdarsteller hat: Regisseur Tarantino selbst, der (zumindest im englischsprachigen Original) als Erzähler aus dem Off den Weg für die finale Ausrichtung seiner Streifens weist. Andeutungen wie ein auf dem Boden liegendes Kaubonbon, das lange und verwundert von Major Warren betrachtet wird, können vom Zuschauer erst im Nachhinein verstanden werden, die Rückblende liefert alle Erklärungen. „The Hateful 8“ bleibt ständig und ausnahmslos unberechenbar, für die Charaktere im Film, als auch für die Zuschauer. Nur eines wird klar: In diesem Film gibt es keine Guten, keine Gewinner, keine Helden. Selbst die letzten Überlebenden am Schluss haben kaum die Chance, ihrer ungewissen Zukunft in irgendeiner Form entgegenzuwirken.

Auch wenn Quentin Tarantinos Schneewestern „The Hateful 8“ ein komplizierter und schwer verträglicher Streifen geworden ist, langweilt er über seine Laufzeit von fast drei Stunden keine Sekunde lang. Der nötige Einsatz von viel Humor und einigen sich durch den ganzen Film ziehenden Gags wie die ständigen Schläge, die Daisy einstecken muss und die kaputte Tür der Hütte (Zunageln! Ihr müsst sie zunageln!) lockert die Grundstimmung oft stark auf und lässt den Umbruch nach der Hälfte umso brutaler erscheinen. Gerade wegen seiner Wendungen, der stets perfekt angepassten Stimmung, surreal-verstörenden wie gleichermaßen cineastisch-gewaltigen Bildern und seinen überragenden Schauspielern ist „The Hateful 8“ ein sperriges aber bombastisches Meisterwerk und meiner Meinung nach jetzt schon der Film des Jahres! Eine grausame und gnadenlose Ballade, getränkt in Blut und Schnee.

©Text: Simon Bauer
©Bild: Lena Konz